Home

Leseprobe
"Von Rausch zu Rausch", Bert Enge


Buch: ISBN 978-3-900044-66-4
E-Book: ISBN 978-3-900044-67-1


Die „Greinerin“ in Sievering

Wenn ich an Heurigenbesitzerinnen zurückdenke, fällt mir als erstes Frau Greiner ein, seh’ ich sie doch immer noch vor mir in ihrer einfachen, bäuerlich wirken­den Kleidung, mit Schürze und Kopftuch, die Gesichtszüge von lebenslanger Mühe zerfurcht, aber immer von einer eigenen, unbestimmten weiblichen Anmut und Würde zeugend.

Wir lernten ihren Gastbetrieb durch den Zufall kennen, das schräg gegenüber der „Braunsperger“, ein Sieveringer Stammheuriger von uns, lag. Er hatte nicht „ausgesteckt“, und wir brauchten nur über die Straße zu gehen.

Es war Spätsommer, und im schmalen, seitlich gelegenen Garten, der von der Straße her nicht einsehbar war, nahmen wir halt einmal Platz, acht durstige Mäuler. Vorsichtshalber wollten wir zunächst nur ein Probe-Achterl zu uns nehmen, aber mit ihrer hohen energischen Fistelstimme meinte sie, bei ihr gäbe es nur Vierterln, oder wir müssten gehen. Nun, Gott sei es gedankt, wir ließen uns dazu überreden. Was soll ich sagen, ich hab’ ja schon öfter mit den Augen gerollt, wenn mir ein Glas vom heurigen (also eigentlich dem vorjährigen) Wein mundete, aber nach dem Genuss dieses Vierterls war ich sowas von hin und weg, dass ich das Gefühl hatte, in einem himmlischen Heurigenlokal gelandet zu sein (hoffentlich erfüllt sich dieser Wunsch dereinst), nie wieder werde ich irgendwo so ein „Tröpferl“ vorgesetzt bekom­men. Ich fragte die „Greinerin“, wie wir sie fortan nannten, was für ein Geheimnis hinter diesem Elixier stünde. Sie meinte nur, es wäre die Folge absolut na­türlicher, ungeschwefelter Reifung. Ja, aber warum sollten dies denn nicht auch alle anderen so handhaben? Sie zuckte nur vielsagend mit den Achseln, lächelte verschmitzt und führte quasi als Entschuldigung für die anderen Winzer an, die jährlich zur Verfügung stehende Ausschankmenge wäre bei ihr doch wesentlich geringer.

Sie erzählte uns noch, dass eben wegen ihrer hohen Weinqualität unlängst erst ein Fernsehfilm – organisiert von einer Vereinigung der „Wiener Weinschwestern“, wenn ich diesen Namen noch halbwegs in Erinnerung habe – bei ihr gedreht worden war. Irgendwann, als im Herbst diese Sendung im ORF gebracht wurde, nahm ich sie auf VHS-Kassette auf und hab’ sie mir oft angesehen, doch leider vergaß ich, die Überspiel-Sperre zu aktivieren, und so passierte mir das Malheur, eine neue Sendung über diese Dokumentation aufzunehmen. Ich weine noch heute wegen dieses Missgeschicks. Die „Greinerin“ war dabei in Höchstform gewesen und hatte ein mir unbekanntes Lied mit ihrer lieben, hohen Fistelstimme gesungen.

Doch zurück zu diesem ersten von vielen Besuchen bei ihr: Wir fragten, was es denn zu essen gäbe. Sie meinte, bei ihr gäbe es nur wenig, da sie ihren Betrieb ja ganz alleine führen müsse, nämlich Käse, Rauchfangkehrerwurst und dunkles Brot. Das reichte uns aber, anspruchsvoll waren wir ja nicht, und auch keine Anhänger der hauptsächlich auf ein reichhalti­ges Buffet ausgerichteten modernen Heurigenkultur. Hauptsache war für uns immer noch die Weinqualität. Hier passte diese einfache Kost hervorragend zum ewig unübertroffenen „Tröpferl“.

Von den vielen Besuchen bei ihr möchte ich eine „Winterbegehung“ herauspicken, als wir uns – nämlich unsere Döblinger Kaffeehausrunde, gemeint sind die Cafés im Zögernitz, wo schon Lanner und Strauss vor über hundert Jahren aufspielten, sowie das Café am Saarplatz, verstärkt durch unsere Mütter – in ihrem wohlig warmen, brennholzbeheizten etwa dreißig Quadratmeter großen Gastraum einfanden. Da es unmöglich war, den Weingenuss rechtzeitig einzubremsen, können Sie sich vielleicht annähernd vorstellen, wie es um uns bestellt war, noch dazu – sie hatte uns inzwischen auf ihre eigene herbe Art ins Herz geschlossen – als sie mit ihrer hohen Stimme ein Liedchen zum Besten gab. Unsere begeisterten Mütter versicherten uns, wir hätten ihnen nicht zu viel versprochen. Beim Aufbrechen um Mitternacht war es um unsere Standfestigkeit nicht mehr sehr gut bestellt, so torkelte Maria, eine ältere Kaffeehausbekannte von uns, nicht in Richtung Ausgang, sondern mit Schlagseite rückwärts direkt in die hinten befindliche Wand mit den Kleiderhaken, und nur mit vereinten Kräften gelang es uns, sie wieder in die entgegengesetzte Richtung zu schieben. Draußen, es hatte inzwischen ordentlich geschneit, warteten Susi, unsere Mütter und ich im tiefen Schnee auf ein Taxi. Damals, in den späten 80er-Jahren, war Sievering ein „Schneeloch“ – bedingt durch die Wienerwald-Randlage, und dies besonders in den drei schneereichsten Jahren, die ich erlebte, von 1985 bis 1987. Als das Taxi endlich kam, es hatte bei diesen Winterbedingungen natürlich länger gebraucht, rutschte eine der beiden Paulas, nämlich die schwergewichtigere Schwiegermama, aus, und nur mit Hilfe des Taxilenkers gelang es, sie ins Fahrzeug zu heben.

Ende der Leseprobe

Home
<font face="Arial">Untitle</font>