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Leseproben
Helmut A. Wagner "Dr.
Zorres schlägt zu! Die unglaublichen Geschichten aus dem
Leben eines Landarztes"
Die Nachtvisite
Der Versuch, Dr. Zorres in der Nacht zu einem Kranken zu holen,
verlief nach einem bestimmten Ritual, wobei erwähnt werden muss,
dass zu dieser Zeit die Patienten sehr geringe Hemmungen zeigten,
die Dienste des Arztes zu jeder Tages- und Nachtzeit, selbst bei
relativ kleinen Wehwehchen, in Anspruch zu nehmen. Dr. Zorres wurde
daher nicht selten nicht nur einmal in der Nacht aus dem Bett
geholt, und eine gereizte Reaktion seinerseits war daher eigentlich
verständlich.
Im Laufe der Jahre hatte sich daher ein Ablaufmuster entwickelt, das
ungefähr so aussah:
- Die Nachtglocke läutete; keine Reaktion.
- Nach dem zehnten bis 15. Mal stürzte Dr. Zorres ans
Schlafzimmerfenster um hinauszubrüllen: „Suchen Sie einen
anderen Arzt, ich bin selbst schwer krank!“.
- Dass die den Arzt Suchenden in dieser Phase unter dem
Vordach Schutz suchten, weil Dr. Zorres normalerweise mit einer
Pistole auf den Betätiger der Klingel schoss, darf in das Reich
der nicht verifizierbaren Geschichten eingereiht werden.
- Nach weiterer zehn- bis 15-maliger Betätigung der Klingel und
Intervention der stets den Ausgleich suchenden Gattin Mitzi
stürzte Dr. Zorres wieder ans Fenster, um gereizt nach dem Grund
der Störung seines Schlafes zu fragen.
- Die Erklärung, dass z. B. seine langjährige Patientin Anna
Maier gerade im Begriff stehe, ein Kind zu bekommen, wurde immer
mit der Feststellung beantwortet, dass er nie im Leben eine Frau
Maier gekannt habe und er nicht wisse, wo sie wohne – er daher
nicht beistehen könne, und überdies sei er zu müde und zu krank,
und man möge sich zum Teufel scheren.
- Im Hingergrund regte sich in dieser Phase dann stets Mitzi, um
ihren Gatten zu beruhigen, was zumeist mit einer abwechselnden
Beschimpfung der Arztsuchenden und Mitzis endete, wobei vor
allem letztere unzweideutig aufgefordert wurde, die
Beschwichtigungsversuche einzustellen und den Mund zu halten.
- War diese Phase überstanden und schließlich das Stadium der
Nachfrage nach dem Zustand des Patienten erreicht, war
eigentlich das Spiel fast zu Ende. Es folgte nur mehr die
Klarstellung, dass der Bote ein Trottel sei, da bei der
Weggabelung zum Haus von Frau Maier der Nussbaum links und nicht
– wie vom Boten angegeben – rechts am Wegrand stehe, und
außerdem sei die Hausnummer nicht 367 sondern 382, wie Dr.
Zorres nicht vergaß zu bemerken.
Das Ende war dann stets identisch. Der Bote schleppte die Blechkiste
mit den wichtigsten ärztlichen Instrumenten am Rücken, und hinter
ihm folgte brummend und vor sich hinfluchend Dr. Zorres, bis sich
beide im Dunkel der Nacht, auf dem Weg zum Patienten, verloren ...
Ende der Leseprobe
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